Ein Modellprojekt

Hintergrund

Gemeinschaft und Partizipation

Gemeinschaftsleben in Altenpflegeeinrichtungen

Die stationäre Langzeitpflege ist ein Ort der Gesundheitsversorgung und des Alltagslebens zugleich. Da Bewohner:innen im Vergleich zum Akutsetting über eine längere Lebensphase in diesen Einrichtungen verbleiben, bestehen hier besondere Herausforderungen. Neben der Versorgung multimorbider und schwerstpflegebedürftiger Bewohner:innen, ist die Erhaltung der Lebensqualität jener und damit die Gestaltung des Alltags von großer Bedeutung und zugleich Herausforderung. Dies schließt unter anderem auch die Einbindung von Personen aus dem Umfeld wie An- und Zugehörige der Bewohner:innen ein. Die organisationalen und (pflege-)gesetzlichen Anforderungen an Altenpflegeeinrichtung strukturieren jedoch in starkem Maße den Alltag der Bewohner:innen. Die Bewohner:innen verbringen häufig ihren gesamten Alltag in der Einrichtung, haben keine oder nur wenige private Rückzugsräume und die exakt geplanten Abläufe der Einrichtung geben den Rhythmus ihres Alltags vor. Nicht zuletzt die zunehmende Ökonomisierung des Bereichs verschlechtert den Zustand weiterhin. Zugleich ist allerdings seit den 1980er Jahren eine zunehmende Öffnung von Altenpflegeeinrichtungen in und für ihre Nachbarschaft zu verzeichnen.

In Altenpflegeeinrichtungen treffen dabei unterschiedliche Personengruppen aufeinander – Mitarbeiter:innen, Bewohner:innen sowie An- und Zugehörige. Als Angehörige werden jene Menschen verstanden, die direkte Beziehungen zu einer Person in der Einrichtung biographisch etabliert haben, wohingegen Zugehörige in einem weiteren Sorgezusammenhang mit der Einrichtung verbunden sind und somit der Institution Altenpflegeeinrichtung verbunden sind. Die Gruppe der Mitarbeiter:innen selbst zerfällt wiederum in sehr unterschiedliche Einzelgruppen – beispielsweise gehören zu ihr Pflegefachpersonen und -hilfspersonen sowie Angestellte des Sozialen Dienstes, der Pforte oder der Hauswirtschaft.

Mittelpunkt des Lebens

Für Bewohner:innen besteht die fundamentale Notwendigkeit, in der Einrichtung “anzukommen” – dieser Ort ist für sie von nun an Mittelpunkt ihres Lebens. Sie bringen so auch ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse mit in die Einrichtung, oft fehlen hier aber Mittel und Wege, diese zu adressieren. Für Mitarbeiter:innen ist die Einrichtung hingegen kein Platz für Freizeit, sondern ein Ort der Zusammenarbeit – diese drückt sich ebenfalls als Wunsch nach Rückhalt und Wertschätzung durch das Umfeld aus. Schlussendlich müssen Angehörige darin bestärkt werden, dass sie eine aktive Rolle innerhalb der Einrichtung spielen können und das Umfeld der zu ihnen gehörigen Bewohner:innen mitgestalten können. In diesen Fällen manifestiert sich Zusammenleben hier folglich als Wunsch emotional aufgehoben – geborgen – zu sein. Zusammengefasst ist dies im Wunsch nach einer „guten Gemeinschaft“. Nicht nur in Altenpflegeeinrichtungen ist das Konzept der Gemeinschaft jedoch ein heikles Unterfangen: Denn der Ruf nach gemeinschaftlichem Leben läuft immer Gefahr kollektive Notwendigkeit individueller Selbstbestimmung vorordnen zu wollen. So erlauben organisierte Aktivitäten (wie z.B. ein Singnachmittag) einerseits das Aufeinandertreffen mit anderen Bewohner:innen, können aber andererseits auch als unerwünschte Verpflichtung wahrgenommen werden. Deshalb können Maßnahmen zum Erleben von Gemeinschaft in Altenpflegeeinrichtung immer nur “auf dem Weg” sein, ihre konkrete Ausgestaltung hängt von den jeweils wechselnden individuellen Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner:innen, Mitarbeiter:innen und An- und Zugehörigen ab.

Selbstbestimmung aller

Die Selbstbestimmung aller Beteiligter vor dem Hintergrund von koordinierten Routinen und Abläufen ist das zentrale Problem vieler Altenpflegeeinrichtungen. So sehen die Autor:innen des Berichtes “Selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim” die Verwirklichung von Selbstbestimmung gerade als Gestaltungsauftrag von Pflegeeinrichtungen an. Sie heben fünf Aspekte hervor: den Ausgleich zwischen Gemeinschaft und Privatheit, die Bewohner:innen-Zentrierung, das Ermöglichen alltäglicher Entscheidungs- und Handlungsmacht, die Begleitung bis zum Tod und die Unterstützung von Mitarbeiter:innen. Pflegeethische Anforderungen an pflegerisches Handeln in Altenpflegeeinrichtungen heben daher die Aufrechterhaltung von Autonomie hervor. Denn nicht nur der Organisationsstruktur, sondern auch den Mitarbeiter:innen der Altenpflegeeinrichtungen kommt eine zentrale Rolle im Verwirklichen oder Verunmöglichen von Selbstbestimmungsbestrebungen der Bewohner:innen zu. Hierbei muss jedoch den spezifischen Pflegebedarfen Rechnung getragen werden, in Altenpflegeeinrichtungen sind insbesondere häufig auftretenden Multimorbiditäten und der relativ späte und abrupte Umzug in Pflegeeinrichtungen als ein solche Probleme zu nennen. Die Unterstützung von Autonomie muss also immer vor dem Hintergrund des bestehenden Fähigkeitsprofils geleistet werden und darf nicht gleichermaßen zur Überforderung von Bewohner:innen führen oder unerfüllbare Anforderungen an die Mitarbeiter:innen stellen.

Kernpunkte Gemeinschaft

  • In Altenpflegeeinrichtungen treffen ganz unterschiedliche Gruppen aufeinander
  • Starke Strukturierung des Alltags durch die Vorgaben der Einrichtung
  • Gemeinschaftsleben ist eine wichtige Komponente für alle Gruppen der Einrichtung
  • Selbstbestimmung als Gestaltungsauftrag von Pflegeeinrichtungen

Altenpflegeeinrichtungen und Partizipation

Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden: sie kann regional oder auch national stattfinden, institutionell zum Beispiel auf der Wohnbereichs-Ebene oder in der gesamten Einrichtung. Partizipation zielt darauf ab, mehr Menschen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihnen in Fragen, die ihr Leben betreffen, Gehör zu verschaffen. Es existieren dabei diverse Arten, wie diese Partizipation gelebt werden kann: Bürger:innenräte auf kommunaler Ebene, Petitionen, die durch Bürger:innen angestoßen werden, Workshops, die einen offenen Dialog zwischen Bürger:innen und Entscheidungsträger:innen fördern, aber auch Betriebsräte in Unternehmen, Bewohner:innenbeiräte in Pflegeheimen oder Gesprächskreise in Abteilungen. Das erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen, schafft Vertrauen in Prozesse und stärkt das Gemeinschaftsgefühl in Institutionen und der Gesellschaft. Die beteiligten Gruppen fühlen sich in Bezug auf ihre Umwelt und Lebenswelt ermächtigt und erkennen ihre Potenziale und Stärken.

Auf die Zielgruppe gerichtet

Je nach Zielgruppe und Umfeld, in dem partizipative Prozesse durchgeführt werden, variieren die Methoden und Rahmenbedingungen, um die Partizipation der Gruppe gelingen zu lassen. Methoden zur Partizipation sollten daher immer auf die Zielgruppe ausgerichtet sein, damit die Mitarbeit gewährleistet ist, ihre Kompetenzen, Informationsbedarfe und Emotionen einbezogen werden. Unterscheiden lassen sich in diesem Zusammenhang aktive und passive Partizipation und dazwischenliegend viele Abstufungen dessen. Passive Partizipation bezieht sich dabei auf die bloße Informationsweitergabe an die Gruppe, die in einen Prozess involviert wird. Wenn eine Gruppe aktiv partizipiert, hat sie volle Macht, um eigenständig Entscheidungen zu treffen und/oder Handlungen anzustoßen oder direkt selbst durchzuführen.

In Altenpflegeeinrichtungen kommt Partizipation eine besondere Rolle zu, denn hier verbringen Menschen ihren Lebensabend und die Institution wird zum Lebensmittelpunkt dieser Personen mit allen ihren Interessen und Vorlieben. Wie bereits beschrieben, fehlen jedoch Mittel und Wege, individuelle Bedürfnisse und Präferenzen der Bewohner:innen ausreichend zu adressieren, wodurch sie Gefahr laufen in ihrer Autonomie eingeschränkt zu werden. Dem kann durch zielgerichtete, bewusste und partizipative Prozesse entgegengesteuert werden.

Auch in der Forschung gibt es mittlerweile Bestrebungen, eng mit der Zielgruppe zusammenzuarbeiten, Perspektiven zu teilen und sie im Prozess mit denen der Forscher:innen zu verschränken. Eine besondere Form partizipativer Forschung ist die Aktionsforschung, die Forschungsinteressen mit praktischen Problemen verwebt. Im Verlauf des partizipativ angelegten Projekts finden hierbei Veränderungsprozesse in der Institution oder im sozialen Umfeld statt. Die Projektpartner:innen aus der Praxis werden im Rahmen des Projekts außerdem dazu befähigt, ähnliche Veränderungsprozesse auch nach Abschluss des Projekts selbst partizipativ durchzuführen.

Kernpunkte Partizipation

  • Partizipation als Methode, Menschen auf Augenhöhe in Entscheidungsprozesse einzubeziehen
  • Verbesserung der Akzeptanz und des Vertrauens durch partizipative Prozesse
  • Passive und aktive Partizipation unterscheiden sich stark
  • Altenpflegeeinrichtungen als besonderer Gestaltungsraum für Partizipation
  • Aktionsforschung als (Forschungs-(Methode), um Veränderungsprozesse in Institutionen partizipativ zu gestalten

Weiteführende Literatur

  • Hart, Elizabeth; Bond, Meg (2001): Aktionsforschung. Handbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe. Hans Huber Verlag, Bern
  • Straßburger, Gaby; Rieger Judith (Hrsg.) (2019): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe. Beltz Juventa, Weinheim
  • Brandenburg, Hermann; et al. (Hrsg.) (2021): Organisationskultur und Quartiersöffnung in der stationären Altenhilfe. Springer, Wiesbaden.
  • Schlögl-Flierl, Kerstin; et al. (2021): Selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim (SeLeP) – Die Würde des pflegebedürftigen Menschen in der letzten Lebensphase. Ergebnisbericht.
    In: https://pflegenetzwerk-deutschland.de/fileadmin/files/Downloads/pflegenetzwerk-deutschland-selep-ergebnisbericht.pdf,
    letzter Zugriff: 2024-02-09.